Yrsa Sigurdardóttir hat mit Geisterfjord ihren ersten Thriller
geschrieben, der als eigenständiger Roman steht, und nicht in der Reihe
rund um die Rechtsanwältin und Hobby-Ermittlerin Dora Gudmundsdóttir
spielt.
Drei junge Leute aus Reykjavik - Katrin, ihr Ehemann Gardar und
deren gemeinsame Freundin Lif - haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein
runtergekommenes Haus in Hesteyri instand zu setzen und später als
Gästehaus zu betreiben. Hesteyri liegt auf einer Insel, die nur per Boot
erreichbar ist und das auch nur, wenn die Wetterbedingungen mitspielen,
die jedoch in der Herbstzeit bereits unberechenbar sind. Ausgerüstet
mit Materialien für die Renovierung, einigen Lebensmitteln, drei Handys
und sonstigen - wenigen - Dingen, die das Überleben in der unwirklichen
Landschaft garantieren, lassen sie sich von einem Skipper übersetzen und
vereinbaren die Abholung für eine Woche später - sofern nichts
dazwischen kommmt. Doch die ersten Zwischenfälle, die den Aufenthalt der
jungen Leute nach und nach zur nervlichen Zerreißprobe werden lassen,
ereignen sich bereits kurz nach ihrer Ankunft.
Parallel dazu spinnt die Autorin einen zweiten Handlungsstrang rund
um den Psychologen Freyr, der von Kriminalkommissarin Dagný bei einem
auf den ersten Blick 'harmlosen' Fall zu Rate gezogen wird. In einem
Kindergarten wurde eingebrochen, etliche Dinge zerstört und an einer
Wand das Wort "schmutzig" hinterlassen. Kein schönes Ereignis für die
Betroffenen, aber zunächst sieht alles nach mutwilligem Vandalismus ohne
erkennbarem Motiv aus. Doch bei einem Gespräch mit einem Patienten
erfährt Freyr von einem ganz ähnlichen Fall, der sich Jahrzehnte zuvor
an der Schule, an der der Patient früher unterrichtete, ereignet hat.
Auch dort wurde ein Feld der Verwüstung hinterlassen und die Worte
"hässlich" sowie "schmutzig" auf den Wänden verewigt, zusätzlich ein
Klassenfoto verunstaltet. Nicht sicher, ob es sich nicht nur um einen
Zufall handelt, stellt Freya mit Dagnýs Hilfe weitere Nachforschungen an
und stößt auf Dinge, die ihn schnell an seinem Verstand zweifeln
lassen. Nicht nur, dass die Kinder, deren Gesichter auf dem Klassenfoto
bei dem Einbruch in der Schule damals bis zur Unkenntlichkeit
verschandelt worden sind, nach und nach auf mysteriöse Weise wegsterben
und seltsame Male in Form von Kreuzen auf dem Rücken haben, bei denen
unklar ist, wer ihnen diese zugefügt hat. Plötzlich scheint auch das
Verschwinden von Freyrs Sohn Benni von vor drei Jahren in Zusammenhang
mit den Ereignissen zu stehen, obwohl sich der Psychologe lange nicht
erklären kann, in welcher Weise.
Yrsa Sigrudardóttir versteht es auf grandiose Weise, Spannung
aufzubauen und diese bis zum Schluss auf einem hohen Level zu halten.
Wenngleich der Plot bisweilen ein wenig konstruiert wirkt, lassen einen
die Spannungs-Daumenschrauben, die sie unerbittlich anlegt, darüber
hinweg sehen. Die Erzählweise ist straff und direkt, ohne viele Schörkel
wie Landschafts- oder Personenbeschreibungen. Gerade das trägt im
Zusammenhang mit der Storyline zu der beklemmenden Atmosphäre bei, die
es unmöglich macht, das Buch eher wieder aus der Hand zu legen, als dass
das letzte Wort gelesen wurde. Die Charaktere sind überzeugend und nur
soweit vielschichtig, wie es ihre Rolle innerhalb der Geschichte
erfordert. Auch das fand ich gelungen. Man muss das Buch allerdings sehr
aufmerksam lesen, um die ganzen Verbindungen zu verstehen, die sich
plötzlich zwischen den , vermeintlich für sich stehenden, Ereignissen
auftun. Ein Teil der Entwicklungen ist gegen Ende vorhersehbar - was
nicht negativ gemeint ist - auf einige Sachen konnte man jedoch nicht
kommen, egal wie aufmerksam man das Buch gelesen hat. Normalerweise
fühle ich mich bei solchen Wendungen immer ein wenig unwohl und als
Leser "verschaukelt", doch da es sich hier nicht um einen klassischen
Ermittlerkrimi handelt, sondern um einen Roman mit einer gehörigen
Portion Mystery, ist das in dem Fall für mich völlig in Ordnung gewesen.
Dennoch ließ mich die letzte Passage des Buches erstmal ratlos zurück,
da ich sie nicht einzuordnen wusste. Es konnte die Vorbereitung auf
einen Nachfolger sein, ebenso aber der ein wenig holprig umgesetzte
Versuch, das Buch mit offenem Ende zu versehen und den Leser mit einem
mulmigen Gefühl in der Magengegend zurückzulassen. Ganz sicher bin ich
mir noch immer nicht, was davon zutrifft.
Wer gut portionierte
Mystery mag und einen Faible für Romane mit beklemmender Atmospähre hat,
dem kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen.
Broschiert: 358 Seiten
Verlag: S.Fischer Verlage
ISBN-10: 3596192730
ISBN-13: 978-3596192731
Preis: 8,99 € (gebundene Ausgabe / Kindle Edition)